Die Offense von Kyle Shanahan: Was ist das besondere am „Scheme“? Teil 1

Ein Einblick in die moderne NFL-Offense

Einführung

Wer als Fan des American Footballs und der NFL im speziellen Gelegentlich durch die einschlägigen Social Media Plattformen scrollt, wird nicht lange brauchen, bis er irgendeinen Post, Beitrag oder Tweet findet, bei dem jemand vom „Scheme“ spricht. Bezogen auf die Offense geht es dabei meist darum, dass der Quarterback keine Unterstützung vom Scheme bekam und deswegen schlecht gespielt hat, oder wenn er ein statistisch gutes bzw. herausragendes Spiel hatte, es damit erklärt wird, dass ihm das Scheme dabei die Arbeit abgenommen hat und sein Anteil eher gering ist. Besonders oft hört man das bei Quarterbacks, die in einem System spielen, das auf der Idee von Mike Shanahan basiert. Wie später im Beitrag noch genauer erläutert, haben mittlerweile fast die Hälfte der Teams offensive Playcaller, die in ihrer Karriere in Berührung mit dem System von Mike Shanahan gekommen sind. Mike Shanahan war in den 1980er und 1990er langjähriger Coach der Denver Broncos, Los Angeles Raiders und San Francisco 49ers. Insbesondere bei den 49ers mit QB Steve Young und bei den Broncos mit QB John Elway schaffte er es Top Offenses zu coachen und so insgesamt 3 Super Bowl Ringe zu gewinnen (zwei als Head Coach der Broncos, einen als Offensive Coordinator der 49ers). Der wohl aktuell bekannteste Name seines Coaching Stammbaums dürfte sein Sohn Kyle Shanahan sein, dessen erste Stationen zwar bei anderen Coaches waren, er aber immer wieder auf die Philosophie seines Vaters verweist, wenn er gewisse Details erklärt. Große Aufmerksamkeit erhielt der Shanahan Coaching Tree Ende 2024, als der Sportjournalist Michael Silver (früher San Francisco Chronicle, mittlerweile The Athletic) ein Buch veröffentlichte, das sich diesem Thema umfassend widmete. Das Buch „The why is everything“ war auch der Aufhänger und Initialzündung für diesen Artikel, bei dem der Terminus „Shanahan Scheme“ mal etwas genauer beleuchtet werden soll.

First Quarter: Die Karriere von Kyle Shanahan

Erste Schritte als Assistent

Kyle Michael Shanahan wurde am 14. Dezember 1979 in Minneapolis geboren, als sein Vater als Offensive Coordinator bei der University of Minnesota, den Golden Gophers, tätig war. Aufgewachsen ist er dann noch mit seiner Mutter Peggy und Schwester Krystal in Colorado, wo sein Vater den Großteil seiner Coaching Karriere verbrachte. Nach einem Jahr an der Duke University transferierte er als Wide Receiver zur University of Texas nach Austin. Bei den Longhorns stellte sich aber bald heraus, dass sein Talent als Spieler nicht für die NFL reichen werde. Jedoch zeigte sich damals bereits sein analytisches Gespür und sein Wissendurst, den es als Coach in der NFL braucht: „I studied every potential Xs and Os play and issue possible. I spent my whole life working on that. My goal was that any question a player could have about anything on the field, I’d be able to answer it. — Kyle Shanahan, 2006“ Die erste Station als Trainer in der NFL war für Kyle Shanahan eine Stelle als Offensive Quality Control Coach bei den Tampa Bay Buccaneers im Staff von Super Bowl Gewinner Jon Gruden. Die zentrale Aufgabe war dabei für Gruden die Plays aus dem Tape-Studium grafisch aufzubereiten und fürs Playbook zu formatieren. Bekannte andere Coaches im damaligen Staff waren der legendäre Monte Kiffin als DC, John Shoop (QB-Coach, aktuell Coach in der ELF), Mike Tomlin (DBs, jetzt Steelers HC), Raheem Morris (Asst DBs, jetzt Falcons HC) und Rich Bisaccia (Special Teams Coordinator, jetzt Packers). Danach ging es für Kyle Shanahan als Wide Receiver Coach zu den Houston Texans, wo mit Gary Kubiak ein langjähriger Weggefährte seines Vaters Mike Shanahan als Head Coach eingestellt wurde. Bereits damals im Staff dabei waren Mike McDaniel, Johnny Holland, Robert Saleh und Richard Hightower, die alle später auch bei den 49ers im Staff auftauchen sollten. Nach einem Jahr als QB-Coach wurde Shanahan dann im Jahr 2008 zum Offensive Coordinator der Texans befördert. Neu in den Staff dazu kam damals Matt LaFleur, auch ein späterer Head Coach in der NFL. In seinem zweiten Jahr als Playcaller erreichte die Offense von Shanahan ihren ersten Höhepunkt, als QB Matt Schaub am Ende der Saison den Ligabestwert von 4.770 Yards zu Buche stehen hatte und die Passing Offense insgesamt die #1 Offense der NFL war.

Vom Vater-Sohn-Gespann zum Headcoach

2010 folgte Kyle Shanahan dann dem Ruf seines Vaters nach Washington, der zum Head Coach der damals noch Redskins genannten Franchise wurde. Kyle wurde erneut zum Offensive Coordinator ernannt und brachte aus Houston auch noch Matt LaFleur (QB-Coach) mit in die Hauptstadt. Bereits damals mit auf dem Staff waren andere heute bekannte Namen wie Bobby Turner (RB-Coach), Jon Embree (TE-Coach), Chris Foerster (O-Line), Sean McVay (Off. Ass.) und Richard Hightower (Special Teams Coordinator). Erster Draft Pick des neuen Shanahan Regimes war damals übrigens Trent Williams, den man mit dem vierten Pick auswählte. 2011 folgte dann auch Mike McDaniel zu den Redskins während auch Bobby Slowik, späterer Offensive Coordinator der Texans, seinen ersten Kontakt zum Shanahan System hatte. Aus heutiger Sicht waren damals also vier heutige Head Coaches (Kyle Shanahan, Sean McVay, Matt LaFleur und Mike McDaniel) für die Offense der Redskins mit verantwortlich. In der dritten Runde wurde damals noch Leonard Hankerson als Wide Receiver gepickt, der heute die WR der 49ers coached. 2012 war dann das nächste Highlight-Jahr für Shanahan, der in Zusammenarbeit vor allem mit McDaniel für den nach einem Blockbuster-Trade an #2 gepickten Robert Griffin III als Quarterback eine revolutionäre Offense designte. „RGIII“ schaffte in der Zone Read Offense, bei der er größtenteils aus der Pistol Formation spielte, über 800 Yards Rushing und wurde am Ende sogar vor dem an #1 gepickten Andrew Luck „Rookie of the Year“. Mike Silver erwähnt in seinem Buch dazu die kuriose Geschichte, dass nach der Saison beide Shanahans der Ansicht waren, dass der Erfolg dieser Offense mit RGIII auf QB nicht dauerhaft aufrecht zu halten wäre und man deshalb versuchen sollte ihn, obwohl er sich im letzten Playoff-Spiel eine schwere Knieverletzung zugezogen hatte, gegen hohe Picks zu traden und lieber auf den ebenfalls im 2012er Draft gezogenen Kirk Cousins (4. Runde) als QB zu setzen. Der damalige Owner der Redskins Dan Snyder beharrte jedoch darauf, dass RGIII das neue Gesicht der Franchise war. Im Nachhinein lässt sich nun aber gut feststellen, dass die Shanahans mit Ihrer Einschätzung nicht falsch lagen. Nach der 2013er Saison entließ Snyder Mike Shanahan und zahlreiche seiner Assistenten. So gingen Kyle Shanahan und Mike McDaniel zu den Browns, die kurz darauf Johnny Manziel draften sollten und Matt LaFleur zur University of Notre Dame, während McVay und Morris bei den Redskins vom neuen Coach Jay Gruden übernommen wurden. Nach dem eher als Enttäuschung verlaufenen Jahr 2014 wollte Shanahan die damals schon Skandal-Franchise der Browns schnellstmöglich verlassen und schaffte es die Freigabe für einen Wechsel zu den Atlanta Falcons zu bekommen, wo er dann im Staff von Dan Quinn als Offensive Coordinator die Plays für Matt Ryan callen durfte. Dabei waren neben McDaniel auch wieder Morris, Matt LaFleur und sein Bruder Mike LaFleur. Nach Schwierigkeiten, insbesondere in der Abstimmung zwischen Ryan und Shanahan, in der ersten Saison eskalierte die Falcons Offense um Ryan, Julio Jones und Devonta Freeman in der 2016er Saison komplett. Matt Ryan wurde am Ende zum „Most Valuable Player“ und im legendären Super Bowl scheiterte man nach 28:3 Führung noch in der Overtime an den New England Patriots mit Tom Brady. Shanahan wurde trotzdem als „Assistent Coach of the Year“ geehrt und stand bereits während der Playoffs in Gesprächen mit mehreren interessierten Teams, vor allem mit den San Francisco 49ers und den frisch umgezogenen Los Angeles Rams. Bereits am Tag nach dem Super Bowl wurde er dann als Head Coach der 49ers vorgestellt, nachdem er sich im Bewerbungsprozess mit Jed York auch noch darauf einigen konnte, dass John Lynch gleichzeitig als General Manager eingestellt wird. Im ersten Staff von Kyle Shanahan bei den 49ers fanden sich dann im Jahr 2017 auch zahlreiche bereits erwähnte oder noch heute bekannte Namen wie, Jon Embree (Asst. HC), Mike McDaniel (Run Game Spec.), Bobby Turner (RB), Mike LaFleur (Pass Game Spec.), Robert Saleh (DC), Johnny Holland (LB), Jeff Hafley (DBs, heute Packers DC), Richard Hightower (Special Teams Co.) sowie DeMeco Ryans und Bobby Slowik als Defensive Quality Control Assistants. Insgesamt ergibt sich damit folgende Coaching Bilanz für Kyle Shanahan:

1: Quelle: https://www.pro-football-reference.com/coaches/ShanKy0.html

So viel zur Karriere von Kyle Shanahan. Was es aber jetzt mit dem besonderen „Scheme“ und dessen Wurzeln, die bis auf eine andere 49ers Legende zurückgehen, auf sich hat, lest ihr in Teil 2,  Second Quarter: Die Ursprünge der Offense und die Basics

Autor: Chris Pracher

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