Die Offense von Kyle Shanahan: Was ist das besondere am „Scheme“? Teil 2

Second Quarter: Die Ursprünge der Offense und die Basics

Welche Coaches hatten den größten Einfluss auf Shanahan

Den größten Einfluss auf Kyle Shanahan als Coach dürfte, wie man bereits aus der Vita vermuten konnte, sein Vater Mike Shanahan gehabt haben. Mike Shanahan hat insbesondere in den späten 80ern und den 90ern das Outside Zone Run Game geprägt und von diesem sehr horizontalen Bewegung im Run Game dann auch das Passing Game in Form von Bootlegs und Play Action abgeleitet, was auch heute noch ein Kernelement der Shanahan-Offense darstellt. Insbesondere in der mit zwei Super Bowl Triumphen sehr erfolgreichen Zeit der Denver Broncos mit Terrel Davis als RB und „Hall of Fame“ QB John Elway hatte Shanahan, auch mit Hilfe seines Offensive Coordinators Gary Kubiak und O-Line Coach Alex Gibbs, eine überragende Offense aufs Feld gezaubert. Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Kyle Shanahan als Coach hatte mittelbar auch Bill Walsh, der legendäre Coach der 49ers in den 1980er Jahren, der mit dem Team insgesamt 3 Lombardi Trophys gewinnen konnte. Zwar existiert keine gerade Linie vom Coaching Tree von Bill Walsh zu Kyle Shanahan doch war sein Vater Nachfolger von Mike Holmgren als Offensive Coordinator der 49ers und konnte unter Walsh-Nachfolger George Seifert noch viele der Prinzipien der Offense übernehmen. Aus dem Mike Holmgren Tree stammen wiederum andere bekannte Coaches wie Andy Reid und Jon Gruden. Letzterer war dann wie erwähnt der erste Headcoach in der NFL unter dem Kyle Shanahan arbeiten durfte. Seinen ersten großen Coordinator Job bekam Kyle Shanahan dann unter Gary Kubiak in Houston. Kubiak war unter Mike Shanahan schon QB-Coach bei den 49ers im Jahr 1994 und folgte ihm zu den Denver Broncos wo er lange Jahre Shanahans Offensive Coordinator war und Jahre später noch einmal als Head Coach sogar den Super Bowl gewinnen sollte. Insofern kann man Kyle Shanahan auch fast dem Coaching Tree von Gary Kubiak zurechnen, wie u.a. auch Kevin Stefanski von den Browns. Klingt alles sehr verwirrend, aber es wird dann doch deutlich, dass alles in dieser großen Trainer-Familie irgendwie zusammenhängt (vergleiche den Stammbaum weiter unten).

Wie aus der geschilderten Karriere von Kyle Shanahan eindrucksvoll hervorgeht, hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass das Shanahan „Scheme“ über Ihn und seine ehemaligen Assistenten weit über die NFL gestreut wird.

1: https://theanalyst.com/2022/02/mike-shanahan-zone-run-blocking-scheme-super-bowl-lvi-los-angeles-rams-cincinnati-bengals/

Die Taktik dahinter

Das Run-Game

Das Outside Zone Running Game ist das Fundament der Shanahan-Offense und wurde über Jahrzehnte hinweg verfeinert. Die Wurzeln dieser Spielphilosophie reichen bis in die 1980er Jahre zurück, als es von Offensive Line-Gurus weiterentwickelt wurde. Mike Shanahan perfektionierte dieses Konzept in den 1990er Jahren mit den Denver Broncos und gab es an seinen Sohn Kyle Shanahan weiter, der es bis heute in der NFL weiterentwickelt.

Die ersten Ansätze des Zone Blocking entstanden in den 1960er und 1970er Jahren unter Trainern wie Howard Mudd und Jim McNally. Das Ziel war es, ein flexibles Laufspiel zu entwickeln, das auf Beweglichkeit statt Kraft setzt und defensive Unvorhersehbarkeit schafft. Statt individuelle Matchups im Blocking zu gewinnen, sollten Offensive Linemen in Zonen arbeiten und den Laufweg für den Running Back erst nach dem Snap definieren. Eine entscheidende Weiterentwicklung erfolgte durch Alex Gibbs, einen der renommiertesten Offensive Line Coaches, der in den späten 1980er Jahren bei den Denver Broncos konsequent auf Outside Zone als primäres Laufkonzept setzte. Das System verlangte von den Offensive Linemen nicht nur technische Präzision, sondern auch extreme Athletik, um sich parallel zur Line of Scrimmage zu bewegen.

Als Mike Shanahan 1995 Head Coach der Denver Broncos wurde, implementierte er das Outside Zone System als Herzstück seiner Offense. Mit Alex Gibbs als Offensive Line Coach schuf er eine Laufspielstrategie, die defensive Fronts horizontal, also über die gesamte Breite des Feldes, streckte und damit Lücken für Cutback-Lanes des Running Backs öffnete, der dann durch zwischen den Blocks hindurch laufen konnte. Ein herausragendes Beispiel für den Erfolg dieses Systems ist die Terrell Davis-Ära. Das Outside Zone System ermöglichte es Davis, als Hall-of-Fame-Kaliber-Running Back in nur sieben Jahren 7.607 Rushing Yards zu erlaufen. Das System betonte drei entscheidende Reads für den Running Back: den direkten Lauf durch eine entstehende Lücke („Bang“), den Cutback durch eine rückwärtige Lücke („Bend“) oder das Laufen nach außen, wenn die Verteidigung die Mitte verstellt („Bounce“). Mit zwei Super Bowl-Siegen (1997 & 1998) wurde das Zone Blocking System zum Vorbild für viele NFL-Teams.

Während Mike Shanahan das klassische Zone-Running-Spiel perfektionierte, führte Kyle Shanahan moderne Konzepte ein, um das System an die veränderten Bedingungen der NFL anzupassen. Dazu gehören Pre-Snap Motion zur Manipulation der Verteidigung, Tight Splits für Wide Receiver, um bessere Blocking-Winkel zu schaffen, und eine stärkere Verknüpfung mit Play-Action-Pässen.

Zusätzlich zur klassischen Outside Zone hat Kyle Shanahan begonnen, verstärkt Gap-Scheme-Elemente zu integrieren. Während das klassische Outside Zone Scheme primär auf Zone-Blocking basiert, erlauben Power- und Counter-Konzepte eine noch größere Variabilität im Laufspiel. Diese Kombination sorgt dafür, dass defensive Anpassungen schwerer greifen und das Running Game weniger vorhersehbar wird. Dadurch bleibt das System flexibel und kann auf unterschiedliche Defensivstrategien reagieren.

Das Passspiel

Das Passing Game in der Shanahan-Offense baut auf den elementaren Grundsätzen des Run Games auf. Waren es in den 90er Jahren bei den Broncos noch überwiegend Roll-Outs, bei denen QB John Elway seine Kombination aus starkem Arm und athletischem Körper (wie heute ein Josh Allen) perfekt nutzen konnte, waren es in den frühen Jahren von Kyle als Playcaller vor allem Play-Action, enge Formationen und ein hoher Fokus auf Yards nach dem Catch die noch zusätzlich das Fundament bildeten. Über die Jahre gab es dann bedeutende Anpassungen, um auf defensive Entwicklungen und verändertes Spielermaterial zu reagieren. Besonders auffällig war die Umstellung im Jahr 2024, als das Dropback Passing eine größere Rolle erhielt – geplant oder nicht, Stichwort „CMC-Verletzung“ – und die Offense vielseitiger machte.

In den frühen Jahren unter Kyle Shanahan war das Passspiel wie gesagt stark von Play-Action geprägt. Mit Quarterbacks wie Jimmy Garoppolo oder Nick Mullens setzte die Offense darauf, Linebacker mit Lauf-Fakes aus der Mitte des Feldes zu ziehen und rhythmische, schnelle Pässe in dann frei werdende Fenster zu ermöglichen. Das System war dazu darauf ausgelegt, den Quarterback in eine komfortable Lage zu bringen, indem Bootleg- und Rollout-Konzepte genutzt wurden, um ihn aus der Pocket zu bewegen und einfache Entscheidungen zu schaffen. Das Zusammenspiel von Outside-Zone-Laufspiel und Play-Action machte die Offense besonders effizient, was sich in der erfolgreichen NFC Championship-Saison 2019 zeigte. Ein zentraler Aspekt ist dabei das Timing bzw. der Abstimmung zwischen QB und Receiver. Jedes gecallte Passplay sollte so abgestimmt sein, dass der QB zu gewissen festgelegten Zeitpunkten in seinem Dropback einen anspielbereiten Receiver auf dessen Route hat. So kann der QB, z.B. nach dem dritten Step die kurze, nach dem 5. Step die mittlere oder nach dem 7. Step die tiefe Route werfen. Ist der jeweilige Spieler im geplanten Zeitpunkt gedeckt, geht der Dropback-Read-Prozess weiter und der Blick zum nächsten potenziellen Empfänger. Diese Play-Designs sind es, die viel Verantwortung vom Quarterback nehmen, da dieser quasi nur sein „Malen-nach-Zahlen“-Set abarbeitet. Allerdings verlangt es neben schnellen Entscheidungen des QBs auch eben Receiver, die sich exakt an das Timing ihrer Routes halten.

Ab 2022 reagierte Shanahan auf die defensiven Veränderungen durch die zunehmende Verbreitung von „Two-High-Safety-Defenses“, indem er vermehrt Spread-Elemente in sein System integrierte, also das Feld weiter in die Breite zog. Die Offense begann, häufiger auf 11-Personnel (1 RB, 1 TE, 3 WR)  zu setzen und Empty-Formations (ohne RB im Backfield) zu nutzen, um defensive Coverages frühzeitig zu identifizieren.

Zudem wurden verstärkt „Choice Routes“ eingeführt, die es Wide Receivern – vor allem Christian McCaffrey und George Kittle – ermöglichen, ihre Route je nach Coverage flexibel anzupassen. Diese Veränderungen machten das Passspiel variabler, doch Play-Action blieb weiterhin ein zentraler Bestandteil des Systems.

Die wohl größte Veränderung erfolgte 2024, als Shanahan das Dropback Passing stärker in seine Offense integrierte. Bis dahin war sein System stark darauf ausgerichtet, den Quarterback durch Play-Designs zu entlasten und ihm klare Reads zu geben. Doch mit der Weiterentwicklung von Brock Purdy als Quarterback entschied Shanahan, ihm mehr Verantwortung in der Pocket zu übertragen, da er das Vertrauen hatte, dass Purdy auch außerhalb des gedachten Plays Antworten finden könnte und daher nicht in so hohem Maße vom perfekten Playcall abhängig war. Gleichzeitig war die offensive Line meist stabil genug, um vermehrtes Straight Dropback Passing zuzulassen, ohne dass sofortiger Druck entstand. Dies führte dazu, dass die 49ers ihr Passspiel stärker diversifizierten und mehr klassische 5- und 7-Step-Dropbacks in ihre Offense integrierten. Dadurch konnten vertikale Konzepte wie Dagger-Routen und isolierte 1-on-1-Situationen effektiver genutzt werden, um explosive Plays zu generieren.

Diese Änderungen machten die Offense vielseitiger und schwerer vorhersehbar. Während Play-Action weiterhin ein wichtiges Element blieb, wurde das Passspiel weniger abhängig davon und ermöglichte es Shanahan, Defenses auf verschiedene Weise anzugreifen. Insgesamt zeigt die Entwicklung des Shanahan-Passspiels seit 2017, wie sich das System kontinuierlich an moderne Defensiv-Schemes angepasst hat. Von einer Play-Action-dominierten Offense mit hohen Yards after Contact über die Integration von Spread-Elementen bis hin zur verstärkten Nutzung von Dropback Passing – Shanahans Fähigkeit, sein System flexibel anzupassen, ist ein entscheidender Grund für den langfristigen Erfolg seiner Offense.

Nun wissen wir die Hintergründe zum berüchtigten „Shanahan-Scheme“, aber weiterhin nicht wirklich, was es genau bedeutet. Hoffentlich kann hier die zweite Halbzeit mehr Aufklärung bringen: Third Quarter: Was ist „Scheme“?

Autor: Chris Pracher

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